Schwierig, nur etwas für Spezialisten, mit herkömmlicher Thermoplastverarbeitung nicht zu vereinbaren: Dieses Bild dominierte viele Jahre, wenn es um Flüssigsilikon (LSR) ging, doch inzwischen entdecken immer mehr Firmen den interessanten Werkstoff für sich. Das SKZ und Toolcraft, ein innovativer Spezialist für Präzisionsbauteile, kooperieren, um Möglichkeiten und Grenzen auszuloten. KraussMaffei hilft als Maschinenpartner kräftig mit.
Top-Team für den Start in die LSR-Welt: v.l.n.r. Prof. Dr.-Ing. Martin Bastian (CEO SKZ), Frank Burkhardt (Local Sales KraussMaffei), Georg Schwalme (Bereichsleiter Spritzgießen SKZ), Markus Scheuerlein (Projektleiter Formenbau Toolcraft), Thomas Lender (Leiter Spritzguss Toolcraft), Cordula Wieland (Expert Sales TEC KraussMaffei), Christian Rössler (Leitung Vertrieb Süd KraussMaffei). (Foto: KraussMaffei)
Toolcraft ist ein wahrer Möglichmacher. „Was denkbar ist, wird machbar sein“, lautet das Motto von Gründer Bernd Krebs, und so haben sich seit 1989 ganz unterschiedliche Bereiche entwickelt, in denen man tätig ist: Zerspanung, Additive Fertigung, Robotik und eben Spritzguss und Formenbau. Die Breite an verfügbaren Verfahren nutzt das Team, um Kunden auch ungewöhnliche Lösungen zu präsentieren. Immer wieder hat Toolcraft mit Technologien von Null begonnen, weshalb nun der Sprung zum Silikon kein Herzrasen verursacht.
Das SKZ wiederum ist der süddeutsche Platzhirsch, wenn es um Bildung, Forschung, Prüfung und Zertifizierung im Bereich Kunststoffverarbeitung geht. Die renommierte Fachtagung Siliconelastomere findet alle zwei Jahre dort statt, allerdings hatte das SKZ bislang auf seinem eigenen Gelände keine Anlage zur LSR-Verarbeitung. Im Zug der steigenden Elektromobilität mit ihren hohen Temperaturen im Motorraum und der wachsenden Bedeutung von Elastomeren in der Medizintechnik wurde das Thema aber immer interessanter.
Win-Win-Situation für alle drei Partner
Als KraussMaffei etwa zeitgleich die Anfragen von Toolcraft und dem SKZ über LSR-Maschinen erhielt, war schnell klar, dass sich hier eine „Triple-Win-Situation“ schaffen ließ, und man brachte alle Beteiligten an einen Tisch: SKZ-Institutsleiter Prof. Martin Bastian und Georg Schwalme, den Bereichsleiter Spritzgießen, von Toolcraft Thomas Lender (Leiter Spritzguss) und Markus Scheuerlein (Projektleiter Formenbau) und schließlich von KraussMaffei Frank Burkhardt (Local Sales) sowie Cordula Wieland, Expert Sales TEC und Expertin für Silikonverarbeitung. Wertvolle Unterstützung gab es auch seitens der Firma Nexus, die ihre Erfahrung in der Dosiertechnik mit einbrachte. Da es sich um eine innerbayerische Kooperation handelt, ist es sogar möglich, länderspezifische Fördergelder für Forschungsprojekte zu erhalten.
So kann das SKZ sein Netzwerkmitglied Toolcraft mit gezielten Analysen bei der Implementierung der neuen Technologie unterstützen – und gleichzeitig selbst die Expertise erwerben, die man braucht, um Kunden fundiert beraten und innovative Entwicklungen anstoßen zu können. Den Startschuss gab es bei einer zweitägigen Schulung durch den Fachbereich Kunststofftechnik der Universität Kassel. Dazu Prof. Martin Bastian: „Die Kollegen dort sind sehr gut und der Austausch mit ihnen ist für uns äußerst wertvoll.“ Georg Schwalme ergänzt: „Wenn wir den Prozess an sich beherrschen, werden wir – wie bei den Thermoplasten – die Brücke schlagen können, von der Grundlagenforschung zur betrieblichen Praxis.“
Je eine vollelektrische PX fürs SKZ und eine für Toolcraft
Die beiden vollelektrischen Maschinen von KraussMaffei sind inzwischen an Ort und Stelle: eine PX 50-180 SilcoSet am SKZ und eine PX 121-180 SilcoSet bei Toolcraft. Hier zeigt sich der große Vorteil von inhabergeführten mittelständischen Unternehmen: Man ist unabhängig und kann auch in etwas investieren, das keine sofortige Rendite verspricht. Thomas Lender verdeutlicht: „In der Theorie können wir beim Silikon schon 100 Prozent, praktisch noch null. Wir denken, dass es etwa zwei Jahre dauern wird, bis wir die Technologie im Griff haben, aber diese Zeit nehmen wir uns einfach.“ Den Zuschlag, der LSR-Maschinenpartner von Toolcraft zu werden, erhielt KraussMaffei auch wegen der beteiligten Personen: „Ihr habt uns von Anfang an das Gefühl gegeben, willkommen zu sein und ernst genommen zu werden, und die fachliche Unterstützung durch Cordula Wieland ist sowieso unbezahlbar.“
Gekapselte PX 121 für Reinraum-Anwendungen
Wie gründlich Toolcraft das Vorhaben angeht, zeigt die Tatsache, dass die PX 121 gekapselt in einer Halle steht, die später zum Reinraum-Bereich Klasse 7 ertüchtigt werden soll. Auch hat man ihr gleich etwas mehr Schließkraft und Plastifiziervolumen sowie verbreiterte Werkezugaufspannplatten mitgegeben, um maximale Flexibilität zu besitzen. Da bei LSR die Verweilzeit in der Plastifizierung nicht so kritisch ist wie bei Thermoplasten, kann man auch mit einem vergleichsweise großen Aggregat sehr kleine Produkte fertigen und der vergrößerte Hub der Schließe zahlt sich aus, weil die Werkzeuge durch Kaltkanal und Isolierplatten tiefer aufbauen. Dabei, eine hohe Gewichtskonstanz der Produkte zu erreichen, wird die Maschinenfunktion APC plus helfen. Sie regelt über die Masseviskosität und hinterlegte Materialparameter den Umschaltpunkt von Schuss zu Schuss neu, was bei Silikonen insofern wichtig ist, als dass die Chargenschwankungen hier sehr viel ausgeprägter sind, als bei klassischen Thermoplasten. Für die Artikelentnahme ist dann übrigens ein hängender [Sechs-Achs-]Roboter zuständig.
Erstes LSR-Projekt für die Medizintechnik
Als erstes LSR-Projekt haben sich Thomas Lender und Markus Scheuerlein einen Stopfen mit 0,5 Gramm Teilegewicht ausgesucht, der bislang aus Feststoffsilikon (HTV) entsteht. Hier gibt es relativ wenige Materialtypen mit Medizinzulassung, so dass sich ein Umstieg auf LSR anbietet. Allerdings ist letzteres sehr niedrigviskos, was den Werkzeugbau äußerst anspruchsvoll macht. Bei einer Konsistenz wie Wasser müssen die Werkzeuge perfekt abgedichtet sein und meist wird sogar ein Vakuum angelegt. Auch ist die Temperaturführung umgekehrt wie bei der Thermoplastverarbeitung, um ein vorzeitiges Vernetzen zu verhindern. Während die Plastifizierung und auch der Kaltkanal gekühlt werden, bringt man die Kavität auf eine Temperatur von etwa 190 °C.
Bislang liegt die Werkzeugerstellung für LSR vor allem in den Händen hochspezialisierter Anbieter mit einem regionalen Schwerpunkt in Österreich. Weil diese aber zunehmend auch selbst Silikonteile herstellen und außerdem die Preise für Werkzeuge und Kaltkanäle vergleichsweise hoch sind, suchen immer mehr Unternehmen nach Alternativen. Auch Toolcraft wird sein Werkzeug selbst bauen und setzt dabei auf die eigene Erfahrung mit Präzisionsformen. Derzeit fertigt das Team um Markus Scheuerlein rund 50 Prozent für den Eigenbedarf und 50 Prozent für Kunden und natürlich ist geplant, später auch einmal LSR-Formen extern anzubieten.
Unterstützung bis ins kleinste Detail
Das SKZ wird bei anstehenden Versuchen Hilfe von intern und extern bekommen. Am SKZ-Standort in Horb (Schwarzwald) ist ein Ausbildungsleiter aktiv, der ursprünglich von der Silikonverarbeitung kommt. Ideal, also.
Und trotzdem kann Cordula Wieland, die KraussMaffei-Expertin für Duroplaste immer wieder mit ein paar Tricks und Kniffen helfen. Etwa mit der Empfehlung, sich eine Tiefkühltruhe zuzulegen. Gerade wenn man noch in der Experimentierphase ist und vielleicht auch einmal ein paar Wochen vergehen, bis man weitermacht, erspart man sich viel Arbeit, wenn das Aggregat zwischenzeitlich tiefgekühlt, wird.
Das Dream-Team aus SKZ und Toolcraft wird mit Unterstützung von KraussMaffei seinen Weg machen.
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